Musik | Hörtest
Glitterer – Life Is Not A Lesson
Mit „Life Is Not A Lesson” bringt Ned Russin, ehemals Bassist und Sänger der amerikanischen Post-Hardcore Band Title Fight, als One-Man-Projekt Glitterer sein zweites, erstmals selbst-produziertes Album raus. Doch Glitterer sieht sich nicht als Solo-Künstler, sondern als eine Band. Er selbst beschreibt es so: „Dies ist eine Band, in der ich spiele und zufällig das einzige Mitglied bin.“ Auf der Platte, die am 26.02.2021 beim Label ANTI- erschien, lässt sich durchaus die Wut aus seinen Punk Zeiten wiedererkennen, allerdings deutlich reduzierter. Dem Sound seines Debütalbums „Looking Through The Shades”, das 2019 erschien, bleibt Glitterer auch auf dem neuen Album größtenteils treu. Man bekommt den gewohnten Mix aus Indie Rock, Post-Grunge und elektronischen Einschüben, nur diesmal gitarrenlastiger.
In der eingängigen Single „Didn’t Want It“ trifft Garage Rock auf Grunge mit fuzzy Gitarren. Inhaltlich geht es dabei um aufgegebene Ambitionen. Auf „Fire“ bilden der verträumte 80s Sound mitsamt Synth und Glockenspiel einen Kontrast zum energievollen, wütenden Gesang. Das elektronische Instrumental „Birdsong“ hingegen ist bittersüß-melancholisch und bietet einen fetten, atmosphärischen Basssound. Auch die Kürze der Songs, die zwischen anderthalb und zweieinhalb Minuten rangieren, ist typisch für den Musiker und zieht sich durch seine Diskografie. So kommt das gesamte Album bei 12 Songs nur auf eine Länge von 21 Minuten. Das erklärt Ned damit, dass er seinen Songwriting-Prozess nicht perfektionistisch angeht. Stattdessen sollen die Songs seinen emotionalen Zustand wiedergeben, der auf „Life Is Not A Lesson“ zwischen Verzweiflung und Hoffnung, Melancholie und Wut schwankt. Auch Unsicherheit wird immer wieder thematisiert. Ned beschreibt, dass sein jüngeres Ich von Sicherheit fasziniert war. Er glaubte, die Antworten auf viele Fragen zu haben. Was mache ich mit meinem Leben? Wer bin ich? Mittlerweile ist er sich da nicht mehr so sicher. So geht es in der ersten Single „Are You Sure?“ darum, daran zu zweifeln, ob man sein Leben wirklich richtig lebt.
Das Schöne an Glitterers poetischen Lyrics ist die Mehrdeutigkeit. Dadurch lassen sich eigene Unsicherheiten, sei es in der Liebe, im Studium oder im Leben, die wir sicher alle kennen, auf die Songs projizieren. Trotz der eher ernsten Themen ist die Musik auf dem Album jedoch wenig melancholisch. Stattdessen findet man pessimistische Hymnen, die trotzdem gute Laune machen. Dabei versucht Ned, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen und seinen Perfektionismus abzulegen. In seiner Zeit bei Title Fight hatte er an sich selbst den Anspruch, originell zu sein und etwas Neuartiges zu kreieren. Mittlerweile geht er das Songwriting entspannter an und sagt, es gibt nun mal nur eine begrenzte Anzahl an Akkorden, Noten und Wörtern. Auf seinem neuen Album, das er während der Pandemie aufgenommen hat, möchte er in erster Linie sich selbst und andere Menschen in dieser schwierigen Zeit trösten. Ich denke, das ist ihm gelungen.
Ich hätte mir zwar noch mehr Tracks gewünscht, aber Glitterer hat dennoch ein spannendes und eingängiges Werk geschaffen. Wer also Lust auf einen abwechslungsreichen musikalischen Kurztrip hat, sollte sich das Album auf keinen Fall entgehen lassen.
Bild: Glitterer / ANTI-Records