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To Pimp A Butterfly
To Pimp A Butterfly

Kendrick Lamar – To Pimp a Butterfly

16. Januar 2023
von Finn Mommsen

Kendricks Aufstieg an die Spitze

Als Kendrick Lamar 2011 sein erstes Studio-Album Section 80 released hatte, war eines klar: Dieser junge Mann hat Talent. Das erkannte auch Rapper und Produzent Dr. Dre und half Kendrick als Executive Producer bei seinem nächsten Album Good Kid, M.A.A.D City, welches 2012 erschienen ist und Kendrick zu einem Star machte. Die Frage war nun, was passiert als nächstes? Würde Kendrick mehr in die trendige Richtung gehen und ein Album voll mit Songs wie Swimming-Pools oder Poetic Justice machen oder ein sehr persönliches Album voller Songs wie Sing About Me, I´m Dying of Thirst oder Real veröffentlichen? Die Antwort dazu lieferte Kendrick in seinem 2015 erschienen Album To Pimp a Butterfly.

Als ich die erste Single I, welche Ende 2014 veröffentlicht wurde, zum ersten Mal hörte, fühlte ich mich bestätigt in meiner Hypothese, dass Kendrick jetzt kommerziell und radiofreundlicher sein wollte. Der Song hat eine positive Message: Man soll sich selbst schätzten und lieben, egal wie schwierig die Lebensumstände sind. Unterlegt ist das Ganze mit einem seichten, aber treibenden Beat und einer eingängigen Hook. Dieser Song brachte Kendrick viel Aufmerksamkeit für sein neues Album. Dann erschien die zweite Single The Blacker the Berry und mir wurde bewusst, Kendrick geht ganz und gar nicht nur in diese Richtung. Das Erste, was man hört, ist Kendricks Stimme, welche melodisch wie in einem Loop folgende Sätze von sich gibt: “Everything black, I don’t want black (They want us to bow) I want everything black, I ain’t need black (Down to our knees)”. Danach setzt die sehr dominante Snare ein und vermittelt einen klatschenden Sound. Kendrick klingt kein bisschen wie in I. Seine Stimme wirkt laut, aggressiv, aber auch verletzt. I zelebriert Blackness uneingeschränkt, während The Blacker the Berry sich mit rassifiziertem Selbsthass auseinandersetzt. Als mir die Dualität in diesen beiden Songs bewusst wurde, erwartete ich etwas ganz Großes in Form eines Albums und meine Erwartungen wurden sogar noch übertroffen.

 

How to Pimp a Butterfly?  

Beim ersten Mal hören wirkt TPAB noch sehr verworren. Es werden viele Themen von Kendrick angesprochen: Rassifizierung, Liebe, Selbsthass und Konsum. Das Besondere ist, er beobachtet, aber be- und verurteilt nicht direkt, sondern erstellt abstrakte Szenarien. Kendrick kommentiert die Probleme, die er anspricht, durch eine gewisse Metaphorik und durch seine fiktiven oder realen Charaktere. Er ermöglicht so den Zuhörer:innen, kritisch über das Gesagte nachzudenken. Bereits der erste Song Wesley’s Theory knüpft an den Albumtitel an. Der Butterfly ist eine Metapher für erfolgreiche Afroamerikaner:innen, die von Konsumgütern gelockt werden, um aus dem Kokon schlüpfen zu können. Kendrick sieht dieses Locken als Manipulation der Industrie an, sie „pimped“ die Künstler:innen (von einer Raupe zum Butterfly). Wie sie das tut, wird in dem Track genau verdeutlicht. Die erste Strophe ist aus der Perspektive eines Schwarzen Entertainers und die zweite aus der Perspektive von Uncle Sam, der die amerikanische Mehrheitsgesellschaft und den Weißen Kapitalismus repräsentiert und die Schwarzen Künstler:innen mit Gütern wie Autos lockt. Das Interlude For Free? führt diese Kritik weiter aus und zeigt uns anhand eines kurzen Monologes einer konsumorientierten Frau, die all die von Uncle Sam versprochenen Güter haben möchte, den negativen Einfluss auf die afroamerikanischen Künstler:innen durch Uncle Sam. Kendricks metaphorische Antwort darauf „this dick ain‘t free“. Mit dieser Aussage beschreibt Kendrick eine:n Künstler:in, der:die den Versuchungen des Erfolgs nicht nachsagt und selbstbewusst ist, dass ihn:sie niemand ausnutzen kann. Er:Sie wird so nicht von Uncle Sam marginalisiert und gepimped.

 

Selbstreflexionen und Lucys Versuchungen

Der Song These Walls beginnt mit einem kleinen Gedicht, dass im Laufe des Albums immer weitergeführt wird;

„I remember you was conflicted / Misusing your influence / Sometimes I did the same / Abusing my power, full of resentment / Resentment that turned into a deep depression / Found myself screaming in a hotel room […]“

In diesem Hotelraum treffen wir im nächsten Song U auf einen verzweifelten Kendrick, der versucht, seine Sorgen im Alkohol zu ertränken. Er führt ein langes Zwiegespräch mit sich selbst, schafft es im nächsten Song Alright aber wieder aus dem Selbsthass heraus und brüllt genau das hinaus in die Welt: “we gon‘ be alright“. Kendrick greift in  For Sale erneut das Gedicht auf und führt es weiter. Obwohl er in Alright einen zuversichtlichen Eindruck hinterlässt, fühlt er sich umringt von „Lucy“, was hier als Synonym für das Böse (Lucifer) genutzt wird;

„I didn’t wanna self destruct. The evils of Lucy was all around me. So I went runnin‘ for answers until I came home.“

Da Kendrick sich in For Sale am Ende wieder vom Bösen umgeben fühlt, kehrt er deswegen in Momma heim – nach Afrika. Zurück zu den Wurzeln, wo er sich mit seiner Identität beschäftigt. Seine Reise ist eng verknüpft mit seinem musikalischen Erfolg, wie er in Momma verdeutlicht:

„Thank God for rap, I would say it got me a plaque, but what’s better than that? The fact it brought me back home.“

Erfolg wird von Kendrick demnach nicht einfach als etwas per se Negatives abgetan. Erfolg trägt aber auch Schattenseiten mit sich und birgt das Potenzial, von den Gütern und Versprechungen Uncle Sams und Lucy korrumpiert zu werden. Nach der Selbstreflexion in U und der Reise nach Afrika in Momma scheint Kendrick  im Reinen mit sich zu sein, solange er Gott an seiner Seite hat. In How Much a Dollar Cost wird das allerdings hinterfragt. Kendrick trifft in diesem Song als erfolgreicher Künstler einen obdachlosen Mann. In diesem Gespräch kommt er auf seinen Erfolg zu sprechen und wird von dem Obdachlosen nach einem Dollar gefragt. Das verweigert Kendrick, da er annimmt, dass der Obdachlose sich mit dem Geld nur berauschen wird.

„Walked out the gas station, a homeless man with a semi-tan complexion asked me for ten rand, stressin‘ about dry land, deep water, powder blue skies that crack open. A piece of crack that he wanted, I knew he was smokin‘. He begged and pleaded, asked me to feed him twice, I didn’t believe it, told him, ‚Beat it‘. Contributin‘ money just for his pipe – I couldn’t see it[…].“

Hier wird deutlich, wie Kendrick mit seinen Charakteren in diesem Album spielt, um Kritik zu äußern. Denn es stellt sich heraus, dass es sich bei den Obdachlosen um Gott handelt. Kendrick ist daraufhin beschämt, dass er, anstatt einem Obdachlosen zu helfen, über die Güter, die er erlangt hat, und seine Vorurteile spricht.

„Guilt trippin‘ and feelin‘ resentment. I never met a transient that demanded attention. They got me frustrated, indecisive and power trippin‘, sour emotions got me lookin‘ at the universe different. I should distance myself, I should keep it relentless. My selfishness is what got me here, who the fuck I’m kiddin‘?“

So verstärkt er durch diese Parabel seine Geschichte über die Butterflys (Künstler:innen) und Uncle Sam aus Wesleys Theory und For free. Das Gedicht kulminiert in dem finalen Song des Albums Mortal Man. Kendrick trägt das ganze Gedicht vor und führt ein Interview mit dem verstorbenen Rapper Tupac Shakur, welcher eine große Inspiration für Kendrick ist. Es geht vor allem um die Frage, ob man sich in dieser Gesellschaft, wenn man es von einem armen Mann zu einem reichen Mann gebracht hat, als reich betrachten darf und an was man eigentlich „reich“ ist. Tupacs Antwort spiegelt den Gedanken des Albums wider: Man muss an sich selbst glauben und sollte versuchen, jeden Tag besser zu  sein und sich selbst treu bleiben.

Als den schwächsten Song des Albums kann You Ain’t Gotta Lie (Momma Said) bezeichnet werden, da Kendrick seine Stimme auf eine sehr eintönige Frequenz in dem Chorus pitched und dieser drei mal wiederholt wird. Inhaltlich reiht sich der Song aber trotzdem nahtlos in Kendricks Geschichte ein, weswegen es kein großes Übel ist.

 

Ya Like Jazz?

Musikalisch ist ein großer Jazz Einfluss auf dem ganzen Album zu finden und es gibt keinen Trap Beat. Selbst die fröhliche Version von I wurde durch eine rauere, abstrakte Live-Version ersetzt. Künstler:innen wie Thundercat bereichern das Album enorm. Sein herausragendes Bassspiel bei Wesley’s Theory und These Walls verleiht den Songs einen grandiosen Groove. Die Instrumentals sind vielfältig und passen sich dem Thema des jeweiligen Songs an. Mal klingt das Album bedrückend, wie in den destruktiven U – wo sogar das Klirren der Gläser zu hören ist, wenn Kendrick sich betrinkt. Bei einem sinnlichen Track wie These Walls hingegen, lädt die Basslinie zum Tanzen ein. Das Besondere an den Instrumentals ist, dass fast nichts am Computer entstand und die Künstler:innen selbst gespielt haben. Das verleitet dem Album einen sehr authentischen und organischen Sound. Kendrick variiert seinen Flow und seine Stimme mehrmals im Laufe des Albums. Mal wütend wie in The Blacker The Berry, mal warm und freundlich wie in These Walls, mal hoch-gepitched wie in Institutionalized oder fast sprechgesangartig wie in For Free?, wo er nur von immer gleichbleibenden Trommeln im Hintergrund begleitet wird. Außerdem gibt es fast keine „Rap typischen“ Features, wo zwei Künstler:innen abwechselnd rappen. Kendrick entschied sich hingegen für einige Interludes, wie eine Mailbox-Nachricht von Dr.Dre auf Wesley’s Theory, und eine Bridge von Snoop Dogg auf Institutionalized.

To Pimp a Butterfly erfindet Hiphop nicht neu. Publik Enemy machte gesellschaftskritischen Hip-Hop Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre und Jazz in Verbindung mit Hip-Hop gibt es schon seit A Tribe Called Quest und De La Soul. Nichtsdestotrotz ist TPAB ein artistisches Meisterwerk, was als eines der wichtigsten Hip-Hop Alben unserer Zeit in die Geschichte eingegangen ist.

 

Foto: Kendrick Lamar / Top Dawg Entertainment