Musik
Hörtest des Jahres: Woche 4
Cassels – The Perfect Ending
Der Kontrast zwischen Verpackung und Inhalt eines Albums war dieses Jahr wohl kaum größer als bei Cassels. Verspricht der Titel The Perfect Ending noch so etwas wie Hoffnung und zumindest einen positiven Schluss, führen die Songs dann in die entgegengesetzte Richtung: In The Zoo They Feed Him Nuts beschreibt in ungeschönter, harter Sprache eine Vergewaltigung samt Täter-Opfer-Umkehr vor Gericht, The Queue At The Chemists rechnet mit dem Verdrängen des Klimawandels ab und The Woman In The Moon verrät letztlich das perfekte Ende, in dem sich die Menschheit selbst auslöscht und die Natur sich die Erde zurückholt. Musikalisch unterstreichen Cassels ihre Message mit dem immer wiederkehrenden Kontrast von eingängigen Indiegitarren und Noiseeskapaden, was die Dringlichkeit der Songs noch einmal hervorhebt. The Perfect Ending ist definitiv kein Album zum Wohlfühlen oder Nebenbeihören, wer sich aber auf die Songs einlässt, erlebt eines der spannendsten und kunstvollsten Gitarrenalben 2019.
von Max Afemann
Waving The Guns – Das muss eine Demokratie aushalten können
Fast zwei Jahre mussten sich die Fans der Rostocker Rapper Waving The Guns gedulden, doch endlich wird wieder wortgewandt gepöbelt. Auf ihrer neuen Scheibe Das muss eine Demokratie aushalten können wirft Milli Dance am Mikro ganz dem Titel des Albums entsprechend mit politisch anklagenden Punchlines um sich. Die dabei stets propagierte Antihaltung paaren WTG dabei mit einer guten Portion Selbstironie und finden so den Spagat zwischen verbalen Ohrfeigen und High-Fives, der mich auch beim x-ten Durchlauf noch zum Schmunzeln bringt. Größtenteils Sample-basierte Beats um die 90 bpm zwingen quasi zum Kopfnicken, auf Auto-Tune wird dabei konsequent verzichtet. Weil ich nun seit Monaten schon drei Buchstaben in die Nacht schreie (WTG, Hier unten is OK), ist Das muss eine Demokratie aushalten können mein Album des Jahres.
von Yannik Hoffmeyer
Harry Styles – Fine Line
Harry Styles zweites Album Fine Line war für mich lang ersehnt, die Erwartungen hoch und sie wurden mit jeder neuen Single-Veröffentlichung mindestens erfüllt. Lights Up ist ein cooles, von Synthesizern und Autotune geprägtes Indie-Stück mit eingängigen Backgroundstimmen. Watermelon Sugar wurde für mich das beste Sommerlied des Jahres – ist ja auch mal schön im November. Harry Styles erfindet sich auf Fine Line musikalisch nicht vollkommen neu, denn das rockige She und die gitarrengetragene Ballade Cherry schließen klanglich nahezu nahtlos an das selbstbetitelte Debütalbum von vor zwei Jahren an. Dennoch ist ihm wiederholt eine einzigartig feine Mischung aus anspruchsvollen Popsongs (Adore You), 70er-Jahre-Rock-Nostalgie und Experimentierfreude mit Ukulele (To Be So Lonely) und Country Charme (Canyon Moon) gelungen, der man viel musikalische Hingabe und Neugierde anhört. Leider hat sich die schlimme, hippieske Gute-Laune-Hymne Treat People with Kindness ebenfalls auf das Album verirrt, aber das ist halb so wild, denn dann kann man seine Höhepunkte, wie den strahlenden Opener Golden einfach noch einmal von vorne hören.
Von Carolin Landreh