Musik | Hörtest
Bilderbuch – Vernissage My Heart
Im Dezember haben Bilderbuch mit ihrem 9-Track Album Mea Culpa die deutsche Musikszene kalt erwischt: ohne schon weit im Voraus auf ein neues Album zu teasen, war es bereits eine Woche nach Ankündigung fest eingenistet im Ohr von hunderttausenden Fans. Nach dem überrumpelnden Erfolg von Mea Culpa ließen Bilderbuch aber keine Verschnaufpause: Gerade mal zwei Monate später blätterten die Österreicher Pop-Innovatoren – wie im Dezember angemeldet – schon wieder eine Seite weiter. Mit Vernissage My Heart lieferten sie jetzt das Upbeat-Pendant zum eher introvertierten Erfolg des Vorjahrs.
In der Theorie bietet Vernissage My Heart nicht viel mehr als das, was man von Maurice Ernst und seiner Band schon kennt: mal kreischende und mal gefühlvolle Gitarrenriffs, halb genuschelte, scheinbar sinnfreie Texte und die Art von Beats, die sich in ihrer Ästhetik nie ganz zwischen „verregneter Nachmittag in der Straßenbahn“ und „brechend volle Tanzfläche im zugerauchten Kellerclub“ entscheiden können. Wieder einmal gelang Bilderbuch aber der Geniestreich, die altbekannten Bausteine zu einem völlig neuen Gesamtwerk zusammenzufügen. In gerade mal 35 Minuten erzählt das sechste Studioalbum der Gruppe die Geschichte einer Zukunft, die stets zwischen optimistischer Freiheit und dystopischer Einsamkeit schwankt.
Musikalisch bedient das Album dabei die volle Bandbreite. Die Singleauskopplung LED Go ist genau die Art von gut gelaunter Indie-Pop-Hymne á la Bungalow oder Maschin, die viele Fans auf dem R&B- und lounge-lastigen Mea Culpa vermisst hatten. Währenddessen knüpfen Tracks wie Ich hab Gefühle oder Kids im Park an der verzweifelten Stimmung des Vorgängers an. Ersterer mit durch und durch geautotunetem Herzschmerz-Text, Letzterer mit bedrückendem Gitarrendröhnen, das stellenweise fast schon an Nirvana erinnert – zwei Ausnahmen zwischen sonst lebensfrohen Popsongs mit ordentlich Funk-Einfluss. Frisbeee, Mr. Supercool, oder der Titeltrack Vernissage My Heart zwingen einen förmlich, jetzt schon von T-Shirt-Wetter und Sommernächten am Kanal zu träumen. Gekrönt wird die Neuerscheinung am Ende durch Europa 22, einen neun Minuten Epos über ein „Leben ohne Grenzen“.
Bilderbuchs neuestes Werk ist – zumindest zu großen Teilen – nichts für nebenbei. Die experimentellen Texte und Instrumentals fordern eine gewisse interpretatorische Eigenleistung, die dem Album vielleicht den großen Mainstream-Erfolg verwehren könnten. Wer aber schon mit der Band vertraut ist, oder bereit ist, sich auf die Faxen der schrägen Österreicher einzulassen, dürfte in Vernissage My Heart seinen persönlichen Soundtrack für den Frühling finden.