Musik | Konzerte
Sleaford Mods in Dortmund: Vom Schrottplatz der Gesellschaft
Es ist ein merkwürdiges Schattenspiel: auf einem rostigen Überseecontainer zeichnet sich die Silhouette eines brüllenden Mannes ab. Auf der gegenüberliegenden Seite der Bühne tänzelt ein ungelenker Schatten mit Vollbart und rudernden Armen über die Oberfläche eines zweiten Containers. Vor der Kulisse eines ehemaligen Schrottplatzes im Dortmunder Norden könnte das auch als postmodernes Tanztheater durchgehen, tatsächlich verbirgt sich hinter den beiden Schatten aber das englische Elektropunk-Duo Sleaford Mods.
Der Auftritt der beiden Männer aus Nottingham kommt etwas plötzlich. Die Sonne ist gerade über dem Junkyard untergegangen, da pirschen sich zwei Typen um die fünfzig etwas unprätentiös auf die Bühne, auf der nichts außer einem Mikrofon und einem Laptop steht. Es ist immer dieses spärliche Setup bei den Sleaford Mods, laut Iggy Pop „the world’s greatest rock ’n’ roll band“. Was folgt, ist ein 90-minütiger Rant. Ein Abkotzen über ein England vor, während und nach dem Brexit, über eine ausbeuterische Arbeitswelt, über den spießigen und trostlosen Alltag in heruntergewirtschafteten britischen Vorstädten.
Mit UK GRIM, dem Titelsong des zwölften und neuesten Albums der Band, wird der Abend eröffnet: „I can feel the shit from your crisis rays, spray up my back. Because in England nobody can hear you scream, you’re just fucked, lads“ – es sind Zeilen wie diese, die Sänger Jason Williamson im Dialekt der East Midlands ins Mikro rotzt. Das Publikum sieht ihn dabei vor allem von der Seite, er flucht mehr in Richtung des verrosteten COSCO-Containers am Bühnenrand, der sich aufgrund dieses Wortgewitters und des blitzenden Strobolichts wieder auf rauer See wähnen dürfte. Nur selten sucht Williamsons Blickkontakt zum Publikum, und wenn, dann schneidet er dabei Grimassen oder balanciert eine Wasserflasche auf dem Kopf. Es wirkt, als flüchte er sich in die Rolle eines Clowns. Es bleibt den Abend über bei einer gewissen Distanz.
Jeder Song ist eine Abrechnung. In Fizzy brüllt der wildgewordene Williamson einen geleckten Manager an („You pockmarket four-eyed shit-fitted shirt, white Converse, and a taste for young girls“), in Jobseeker richtet sich der Zorn auf den arroganten Beamten beim Arbeitsamt („Fuck all, I’ve sat around the house wanking, and I want to know, why you don’t serve coffee here?“). The Corgi, Tweet Tweet Tweet oder Tied Up in Nottz sind gnadenlose Abgesänge auf eine nach rechts driftende britische Gesellschaft („Kellogs cunts“) und ihre monarchische Spießigkeit. Zwischendurch gibt Williamson immer wieder vogelartige Schreie von sich, als müsse er neben all dem weltlichen Elend auch noch etwas Übernatürliches rauslassen.
Das Schimpfen ist alternativlos. Williamson sagte in einer Doku einmal über Liebeslieder: „You know, I’m a great believer of love, but for fuck’s sake. There’s a lot going on. Who want’s to hear that if you’re on 15 pounds a week?”. Man glaubt ihm jedes Wort. Lange Zeit hangelte er sich selbst von Job zu Job, zwischenzeitlich arbeitete er in einer Fleischfabrik. “It was like something fucking Dante had written. Just putting chicken in boxes. It was horrible“. Man ahnt, dass sich in den Jahren etwas aufgestaut hat.
Fast schon wieder poetisch (wenn auch wenig sinnlich) sind die Alltagsbeschreibungen aus Nottingham („The smell of piss is so strong, it smells like decent bacon“) und die fiktiven Dialoge, wie der zwischen einem vor verschlossener Tür stehenden Paketboten, der sich mit dem auf dem Klo sitzenden Paket-Empfänger anschreit und störrisch auf eine Unterschrift besteht: „You need to sign for it, mate!“ (Stick In a Five and Go). Manche dieser Wortgefechte erinnern an die Dialoge auf den Straßen des Ruhrgebiets, mit dem Nottingham sein postindustrielles Schicksal teilt.
Die Instrumentals sind reduzierte Low-Fi Drumbeats mit aggressiven Bässen und kommen bei Konzerten der Sleaford Mods traditionell vom Band. Gebaut hat sie Producer Andrew Fearn, der sie pflichtbewusst aber emotionslos am Laptop abklickt. Einige enthalten auch Feature-Parts weiblicher Künstlerinnen wie Amy Taylor (Nudge It) oder Billy Nomates (Mork n Mindy), die beide eine ähnliche Rotzigkeit wie Williamson in der Stimme haben.
Fotos: Leonard Putz
Während dessen Tiraden liefert Andrew Fearn im Hintergrund seine 90-minütige Tanzeinlage, die etwas dilettantisch und albern daherkommt, aber fester Bestandteil der Auftritte der Band ist. Eine Choreografie wie ein stilles Ritual, ein obskures Wabern, das an die Auftritte von Sergej Gleithmann bei Helge Schneider-Konzerten erinnert. Die Moves sind auf den ersten Blick so unvereinbar mit Williamsons Lyrics, dass das Ganze tatsächlich wie ein Theaterstück wirkt, mit Fearn in der Rolle eines fröhlich-naiven Taubstummen, der von all dem Elend in der Welt nichts mitbekommt – oder dessen Ausweglosigkeit erkannt hat.
Etwas aus dem Rahmen fällt gegen Ende ein Cover des Pet Shop Boys Klassikers West End Girls, den PSB-Frontman Neil Tennant in den 80-ern bei einem Aufenthalt in Nottingham schrieb und der vom Aufeinandertreffen der jungen Bewohnerinnen des Londoner West End mit den Proleten aus dem East End erzählt. Das hat zwar etwas weniger Pathos als das Original, ist deswegen aber auf keinen Fall schlechter.
Am Ende sind die Sleaford Mods so schnell wieder weg, wie sie gekommen sind. Ein zaghaftes „We want more“ aus den ersten Reihen bleibt unbeantwortet. Überhaupt beschränkt sich heute das Schweißtreibende, das beherzte Mitfluchen, das man von frühen Auftritten der Band in kleinen englischen Vorort-Clubs kennt, auf die vorderen Reihen. Der Rest des Publikums ist eher kopfnickender Beobachter, vielleicht aber auch einfach nicht working class genug, um wirklich bis ans Äußerste zu gehen. Trotzdem verlässt man diesen Schrottplatz in der Gewissheit, dass auf diesem nach langer Zeit mal wieder etwas in seine Einzelteile zerlegt wurde.