Musik | Hörtest
Olivia Rodrigo – Guts
Olivia Rodrigos 2023 erschienenes Album Guts ist nach Sour ihr zweites Album. Es zeichnet sich, wie Sour auch schon, durch einen rockigen Nullerjahre Avril-Lavigne-Sound und seine sehr modernen, teilweise gesellschaftskritischen Texte aus. Egal worum genau es in den Songs geht, das Kernthema ist immer die Herausforderungen, die man als junger Mensch und vor allem als junge Frau so meistern muss. Als Olivia Rodrigo Guts schrieb, war sie 19 bzw. 20 Jahre alt. Wenn man auf die Produktion und die instrumentelle Gestaltung des Albums schaut, fällt auf, dass diese recht divers aufgestellt ist. Einige der Songs sind auffällig simpel gestaltet, indem nur ein Piano oder eine Akustikgitarre und ein Schlagzeug verwendet werden. In anderen Songs wird hingegen mit E-Gitarren und auch Synthesizern gearbeitet. Bei manchen der Songs wurden außerdem Sounds und O-Töne am Anfang oder Ende hinzugefügt, die man teilweise nur richtig verstehen kann, wenn man das Album in chronologischer Reihenfolge hört.
Guts bietet vor allem Authentizität und Reliability
Der Album Opener all-american bitch beschäftigt sich direkt mit dem Thema der großen stereotypischen Erwartungen an junge Amerikanerinnen. Während sie über den gesamten Song darüber singt, welche Erwartungen an sie im Detail gestellt werden, fasst sie im Outro des Songs nochmal zusammen:
Oh, all the time
I’m grateful all the time (Grateful all the fucking time)
I’m sexy and I’m kind
I’m pretty when I cry
In diesem Song und auch in vielen anderen wird klar: Olivia Rodrigo möchte provozieren. Nicht zu kontrovers, aber sie will relatable, authentisch sein, nicht glattgebügelt. Da fällt auch das ein oder andere fuck oder motherfucking in ihren Songs.
Dabei ist das Songwriting sehr persönlich. In making the bed geht es um Olivias Umgang mit dem plötzlich erlangten Fame und welche Verantwortung sie auch selbst für die Art und Weise wie sie wahrgenommen wird trägt. Rodrigo singt dabei von dem Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und aus den Augen zu verlieren, wer sie eigentlich mal war und was wirklich wichtig ist. Der Chorus fasst diese innere Auseinandersetzung mit sich selbst gut zusammen:
I’m so tired of bein‘ the girl that I am
Every good thing has turned into somethin‘ I dread
And I’m playin‘ the victim so well in my head
But it’s me who’s been makin‘ the bed
Sprechgesang als Weg zum Storytelling
Neben dem bereits beschriebenen punkigen Sound nutzt Olivia Rodrigo auch viel Sprechgesang auf ihrem Album. In bad idea right? spricht sie von der schlechten Idee, sich wieder mit ihrem Ex-Freund zu treffen. Natürlich nur auf freundschaftlicher Basis. Das sagt sie zumindest ihren enttäuschten Freundinnen. Sie selbst weiß eigentlich, dass das nicht wahr ist:
Yes, I know that he’s my ex
But can’t two people reconnect?
I only see him as a friend
The biggest lie I ever said
Diese Selbstironie setzt sich mit weiteren Kommentaren im Laufe des Songs fort. Da macht es viel Spaß zuzuhören, weil sie dabei ohne Dinge zu beschönigen absolut trocken sich über sich selbst lustig macht.
Mein persönlicher Lieblingssong auf Guts ist pretty isn’t pretty. Dieser Song ist ein bisschen weniger persönlich und gleichzeitig trotzdem extrem relatable und somit persönlich für jeden der zuhört. Es geht um die Schönheitsideale, die von der Gesellschaft an junge Frauen gestellt werden und denen man sich nicht entziehen kann, egal was man ausprobiert und wie sehr man auch versucht sich nicht verunsichern zu lassen. Denn egal wie sehr man sich anstrengt, am Ende ist irgendwas immer noch nicht gut genug.
When pretty isn’t pretty enough, what do you do?
And everybody’s keepin‘ it up, so you think it’s you
Die Lyrics selbst sind schon sehr stark, allerdings lebt der Song besonders von der Wut, die Olivia Rodrigo mit ihrer Stimme vermittelt. Besonders die Bridge:
And I bought all the clothes that they told me to buy
I chased some dumb ideal my whole fucking life
And none of it matters, and none of it ends
You just feel like shit over and over again
ist ein großartiger Ausdruck von Female Rage, der sich perfekt in die sonstige Stimmung des Albums einfügt.
Punk trifft auf Piano-Balladen
Zum Schluss soll noch der Album Closer teenage dream erwähnt werden. Das mag der vielleicht persönlichste Song von Olivia Rodrigo sein, der auch relativ stark im Kontrast zu den anderen Songs des Albums steht. Das liegt daran, da es sich um eine sehr langsame Piano-Ballade handelt, die erst zum Ende hin ein bisschen mehr an Fahrt gewinnt. Darin geht es um Olivias Selbstzweifel, dass noch mehr in ihr drin steckt als sie schon zeigen konnte. Sie kritisiert die Haltung von Erwachsenen, dass sie für jemanden, der so jung ist, großartig ist und dass wenn sie erst noch ein bisschen älter ist, alles ja nur noch besser werden kann. Aber was, wenn nicht? Warum muss sie immer an ihrem Alter gemessen werden und kann nicht einfach so gut sein? Das sind die Fragen, die sie sich im Song stellt.
I’ll blow out the candles, happy birthday to me
Got your whole life ahead of you, you’re only nineteen
But I fear that they already got all the best parts of me
And I’m sorry that I couldn’t always be your teenage dream
Der Song funktioniert perfekt als Album Closer, weil er sehr gut widerspiegelt was Guts für ein Album ist: Nämlich eins bei dem Selbstironie und (Selbst)Reflektion im Mittelpunkt stehen. Langweilig wird das nie, denn Olivia Rodrigo ist dabei mal laut, mal verletzlich und mal frech und dreist. Aber immer authentisch.
Foto: Olivia Rodrigo/Geffen