Musik | Hörtest
Social Distortion – White light, White Heat, White Trash
Eine Rückkehr in einer neuen Musiklandschaft
Anfang der 1990er-Jahre befindet sich die Musikindustrie im Umbruch. Stadionacts und überbordende Rockstar-Egos weichen nahbaren Musiker:innen. Bands wie Nirvana, Faith no more, L7 und die Red Hot Chili Peppers bringen den zuvor nieschigen Alternativerock an die Spitze der Charts. In den Folgejahren ermöglicht dieser Kurswechsel Bands wie Green Day oder the Offspring auch eine neue Form des Punkrocks massentauglich zu machen. In diesem Umfeld haben sich Social Distortion Mitte der 1990er-Jahre zurechtzufinden.
Nach ihrem Album Somewhere between Heaven and Hell und einer ausgiebigen Tour legt die Band um Sänger und Texter Mike Ness eine Pause ein. Angefressen von der vermeintlichen Austauschbarkeit der zeitgenössischen Rockmusik will Ness das Album seines Lebens schreiben. Er möchte Songs schaffen, die sein inneres Feuer widerspiegeln sollen. Und will den Fans das gleiche Gefühl liefern, dass er einst beim Hören von The Clash, den Ramones oder Johnny Thunders verspürt hat.
Ein musikalischer Bogen zu den Wurzeln – Und eine Schleppende Aufnahme
Auch musikalisch strebt Mastermind Ness eine Rückkehr im eigenen Sound an: Waren die vorherigen Alben von deutlichen Country und Rock‘n‘Roll Einflüssen geprägt, soll das nächste Album wieder an die erste Platte Mommys Little Monster anknüpfen. Das Ziel ist es, eine kompromisslose Punkplatte ins Leben zu rufen. Inhaltlich will Ness dazu seine von Drogensucht, Depressionen und Knast geprägte Vergangenheit aufarbeiten.
Doch das Songwriting läuft alles andere als erfolgversprechend. Stetig bremst Produzent Michael Beinhorn die Band aus. Zu uninspiriert und generisch seien die geschriebenen Songs. Die Band gewinnt Vertrauen in Beinhorn und entschließt schließlich sogar auf dessen Anraten, sich vom Schlagzeuger Randy Carr zu trennen. Deen Castronovo springt dafür als Studiomusiker hinter den Trommeln ein. Und Ness darf bleiben.
Mit frischer Energie schließt die Band sich für 10 Monate bis Juni 1996 im Bearsville Studio in Woodstock ein. Entgegen aller Aufnahmetrends beschließen Band und Produzent ausschließlich analoges vintage-Equipment zu nutzen. Schließlich soll das Album aus dem zeitgenössischen Pop-Punk herausstechen. Dennoch will die Band nicht dem Konservatismus verfallen: Viel mehr will sie die Attitüde einer jugendlichen Ungeschliffenheit mit der Reflexion einer gereiften und erfahrenen Band verknüpfen.
Eine Umkehr der Emotionen
Besonders zeigt sich diese Verknüpfung in den Texten: Anstelle jugendlich-irrationaler Wut auf die Welt und alle Mitmenschen wirft Ness den kritischen Blick auf sich selbst. Texte von Anspieltipps wie I Was Wrong oder Down on the World Again zeigen, dass hier die Gefühle umgekehrt werden. Mike Ness räumt mit sich und seiner Vergangenheit ungeschönt und authentisch auf, ohne die Dinge zu verklausulieren. Seine kratzig gepresste Stimme unterstreicht dies besonders. Und gerade diese simple Direktheit macht das Album für mich so eindrücklich:
„Well I took what I wanted; put my heart on the shelf/But how can you love when you don‘t love yourself? It was me against the world; i was sure that I‘d win“
Aber auch zuvor ausgelassene Themen finden auf der Platte Raum. So hat die Band lange konkrete politische Aussagen in Ihren Songs gemieden. Doch mit Don‘t drag me down haben Social Distortion einmalig in Ihrer bisherigen Karriere jegliche politische Wut gegen Rassismus und Diskriminierung in einen Song gebündelt. So sagt Mike Ness in einem Interview, dass er den Song nach zahlreichen rassistischen Vorfällen geschrieben habe, als er müde geworden sei, körperlich einzugreifen. Und diese Wut über tief gesellschaftlich verankerten Rassismus und Hass wird für mich in dem Song von vorne bis hinten versprüht:
„Children are taught to hate/Parents just couldn‘t wait/ Some are rich and some are poor/ Others will just suffer more/Have you ever been ashamed/And felt society try to keep you down?“
Sei es der knarzige Bass zu Beginn, das treibende Schlagzeug oder das wütend-geladene Gitarrensolo. Für mich ist der Song mein Lieblingstrack auf dem Album, der auch leider heute noch nichts an seiner Aktualität verloren hat.
Eine Platte für jede Stimmungslage
Mit White light, White Heat, White Trash haben Social Distortion ein Album geschaffen, das im besten Sinne unverkopft von Gefühlen geleitet ist. Die Texte liefern je nach Stimmungslage die nötige Portion Verständnis oder Aufmunterung, während die Musik sehr energetisch mitreißend und roh klingt. Auch im Sound spiegelt sich dies als Stilmittel wieder: Fast jeder Song neigt zur Übersteuerung und beginnt oder endet mit einer Rückkopplung. So auch das Rolling-Stones-Cover von Under my Thumb als letzten Track, durch welches ich den Song neu für mich entdeckt habe. Für mich bleibt die Platte ein zeitloser Klassiker, der jedoch nicht angestaubt oder nostalgisch klingt sondern bis heute authentisch mitreißend überzeugt.
Foto: Social Distortion, 550 Music, Epic Records